Mehr als Kasperletheater: Puppenspiel studieren an der HfS „Ernst Busch“ in Berlin – Interview mit Prof. Joss

Im Puppenfundus der HfS "Ernst Busch"

Im Puppenfundus der HfS „Ernst Busch“

Heute widmen wir uns dem Studiengang Puppenspielkunst an der HfS „Ernst Busch“ Berlin. Studierende des Studiengangs könnt ihr während des Osterfestivals in den Inszenierungen „Du kämmst mich doch“ und „BlablablaBAM“ erleben.

Für unseren Bericht haben wir uns mit Prof. Markus Joss, Leiter der Abteilung Puppenspielkunst an der HfS „Ernst Busch“ getroffen. Er beantwortete uns Fragen rund um das Puppenspielstudium und führte uns in den Puppenfundus der Hochschule.

Prof. Joss' Alter Ego

Prof. Joss‘ Alter Ego

Herr Joss, seit wann ist es möglich, an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin Puppenspiel zu studieren?

Prof. Markus Joss: Seit 40 Jahren kann man hier Puppenspiel studieren. Letztes Jahr hatten wir unser 40-jähriges Jubiläum.

Wo kann man in Deutschland noch Puppenspiel studieren?

In Stuttgart gibt es eine zweite Studienmöglichkeit, die seit 30 Jahren besteht. Es gibt überhaupt nur zwei derartige Studiengänge deutschlandweit.

Bestehen Unterschiede zwischen den beiden Studiengängen in Berlin und Stuttgart? Werden jeweils Schwerpunkte in der Ausbildung gesetzt?

Bei uns an der HfS Berlin ist der Startpunkt ganz klar die dramatische Kunst. In Stuttgart sind die bildnerischen Elemente in der Ausbildung noch stärker. Man lernt punktuell auch noch, Puppen und Masken zu bauen. Dies können unsere Studierende hier in Berlin auch lernen, wenn sie wollen – aber es ist nicht  so stark Teil des Curriculums wie in Stuttgart. Das ist der Unterschied.

Wieder zurück zur HfS „Ernst Busch“: Wie viele Plätze stehen generell pro Studienjahr zur Verfügung?  Wie lange dauert das Studium und welchen Abschluss erreichen die Studenten?

Es gibt zehn Studienplätze pro Jahr. Das Studium dauert vier Jahre und schließt mit dem Diplom ab.

Wie wird das Studienangebot der Abteilung Puppenspielkunst angenommen?

Wir können alle zur Verfügung stehenden Studienplätze besetzen.  Ich muss aber auch sagen, dass es mehr Bewerber sein dürften. Nach wie vor wissen a) viele Leute gar nicht, dass man Puppenspielkunst studieren kann – auch viele Leute aus der Theater- und Kulturszene wissen nicht, dass das ein Studiengang ist. Und b) ist die Puppe natürlich immer noch ganz stark mit einem Kasperle- und Kindertheater-Image belegt.  Heute ist aber Puppen- und Figurentheater eine wirklich innovative Kunst.

Welche Tipps kannst du interessierten Schulabgängern für ein solches Studium geben? Welche Voraussetzungen sollte ein Bewerber für ein Puppenspielstudium an der „Ernst Busch“ mitbringen?

Am besten informiert man sich an einem Tag der offenen Tür (Anmerkung der Redaktion: der nächste ist am Samstag, 11. Mai 2013) oder an einem der vielen öffentlichen Präsentationen von Szenenstudien, den „Tagen der Hochschule“ am 20. bis 23.06. in der Schaubude.

Die Voraussetzung ist, dass man auf die Bühne will, dass man von der Bühne in den Zuschauerraum etwas kommunizieren will. Man muss Lust haben, etwas zu erzählen – das ist Grundvoraussetzung. Als Zulassungsvoraussetzung braucht man Abitur und eine künstlerische Begabung.

Wie laufen die Aufnahmeprüfungen ab?

Wir haben ein zweistufiges Aufnahmeverfahren. Es sieht vor, dass der Bewerber kleine selbsterarbeitete Szenen vorspielen muss. Eine aus der dramatischen Literatur  und eine selbsterfundene, jeweils mit Puppen. Und dann noch eine frei gewählte Szene mit schauspielerischer Darstellung. Ein Lied muss man zudem vorsingen und dann bekommt man auch noch einen Text, mit dem dann hier gearbeitet wird. Die zweite Stufe ist dann fast identisch. Nur, dass dann vom Dozenten eventuell noch ein Tipp kommt oder wir noch etwas sehen wollen, was der Bewerber noch nicht gezeigt hat.

Gibt es einen strikten Lehrplan für das Puppenspielstudium oder entscheiden die Dozenten mitunter individuell, was im Kurs gemacht wird?

Wir versuchen hier einen Spagat. Wir fangen in den ersten eineinhalb Jahren an,  ein sehr handwerkliches Fundament zu legen – mit traditionellen Puppenformen. Wobei der Studierende fast wie in der Schule schon weiß, was er am nächsten Tag machen wird. Die Unterrichte sind Sprechen, Musik, Gesang, Puppenführungstechnik und die Bewegungsfächer mit Körperstimmtraining, Stepptanz, Akrobatik, Fechten, Standardtänze und so weiter. Und es gibt die Theoriefächer Theatergeschichte, Dramaturgie, Zeichenlehre, Kunstgeschichte, Ästhetik. Nach der Grundlagenarbeit in Schauspiel und Animation über das ganze erste Semester sind im Grundstudium die Szenenstudien ganz zentral. Dort wird mit traditionellen Puppenformen wie der Handpuppe, Klappmaulpuppe aber auch dem Maskenspiel gearbeitet. Im zweiten Jahr geht es dann weiter mit einem Szenenstudium Schauspiel und der Faden-Marionette.

Ab dem Ende des zweiten Jahres sind die Studierenden dann dazu aufgerufen, ihre eigenen Projekte zu machen. Im dritten und vierten Jahr wird es dann immer freier. Hier kann man dann selbst seine Schwerpunkte setzen.

Wie beschreibst du den typischen Puppenspiel-Studenten an der HfS Berlin? Gibt es Unterschiede zu den Schauspielstudenten?

Allgemein kann man sagen: Der Puppenspielstudent ist jemand, der gerne über Material kommuniziert oder etwas erzählt. Der Puppenspieler möchte auch mehr sein „Ding“ – sein eigenes Theater – machen und kreieren. Während der Schauspieler eher  sagt „macht mit mir“.

Nun zu den Puppen und den Veränderungen im Puppentheater: Welche Formen von Puppen  neben den klassischen Puppen –  gibt es?

Die klassischen wären dann die Handpuppen, Marionetten an Fäden oder Metallstäben, Stabpuppen und natürlich die Klappmaulpuppen, wie man sie aus der Muppet-Show kennt.

Dann gibt es große, voll durchgegliederte Puppen, die dann zu zweit oder zu dritt geführt werden. Die traditionelle, japanische „Bunraku“-Puppe ist beispielsweise eine solche Puppenform. Und dann gibt es alle möglichen Mischformen, das ist das eigentlich spannende! Wir sagen dazu auch die „hybriden“.  Insgesamt, so überraschend fremd uns die eine oder andere Form  vielleicht auch ist, würden wir uns alle schnell einig und sagen: „Das ist eine Puppe“.  Aber das spannende ist, dass eine Puppe erst im Spiel entsteht. Vorher ist es streng genommen nur Objekt, das als Zeichen auf den Menschen verweist. Die Puppe, wie wir sie verstehen, entsteht erst in und mit dem Zuschauer – das ist ganz wichtig zu verstehen. Letzen Endes macht der Zuschauer die Puppe lebendig, indem er ihr den Subjektstatus zuerkennt.

Hat jeder Student seine eigene Puppe oder stellt er diese während des Studiums her? Gibt es einen Fundus an der Hochschule, auf den alle Studenten zugreifen können?

Während des Grundstudiums gibt es mehrere  Szenen-Studien, da kann sich der Student eine Puppe für seine Arbeit aus dem Puppenfundus wählen. Es gibt aber auch immer wieder Studierende, die ihre eigene Puppe kreieren. Beispielsweise unser ehemaliger Student Benno Lehmann, der seinen „Herrmann“ kreiert hat. Ursprünglich war das eine Puppe, die er am Berliner Ensemble gespielt hat. Aber mittlerweile ist das ein ganz eigener Charakter geworden, den er in immer neue Zusammenhänge stellt. Oder Michael Hatzius – auch ein Absolvent der HfS „Ernst Busch“, der mit der „Echse“ auf Tour ist. Das gibt es immer wieder.

Hat sich das Studium des Puppenspiels in den letzten Jahren verändert?

Das Puppentheater ist in den letzten Jahren viel konzeptioneller geworden. Heute reicht es vom traditionellen Handpuppenspiel bis zu den Performance-Künsten. Da wird mit Material umgegangen und der Mensch wird selbst zum Material. Seit einem Jahr gibt es auch eine neue Professur für digitale Medien im Puppentheater. Das ist zum Beispiel auch ein Zeichen dafür, dass das Studium hier unglaublich breit ist.

Welche Berufschancen gibt es für Puppenspiel-Absolventen?

Erst einmal muss man unterscheiden, ob der Studierende nach dem Abschluss in ein Ensemble will oder in die freischaffende Tätigkeit. Da sind die Studierenden sehr unterschiedlich, was für einen Weg sie gehen wollen. Und es ist natürlich auch eine Frage des Marktes. Ob gerade freie Stellen da sind oder nicht. Aktuell sind zum Beispiel vier Studenten des vierten Studienjahres nach Magdeburg gegangen und sind dort fest in einem Ensemble tätig. Es gibt allerdings nur sehr wenige Puppenspielensembles in Deutschland.

Die meisten Absolventen gehen in die freischaffende Tätigkeit. Und das ist schwierig – das sollte man auch nicht beschönigen. Das bezieht sich nicht nur auf das Puppenspiel. Generell braucht es für freischaffende Tätigkeit viel Durchsetzungsvermögen und einen langen Atem. Was wir jetzt seit einem Jahr für Studierende ab dem zweiten Studienjahr anbieten, ist Unterricht in Projektmanagement und Marketing für Künstler. Dort werden die Studierenden an alles, was damit zu tun hat, herangeführt. Man muss sich Gedanken über den bestehenden Markt machen. Wo man da selber stehen möchte, was die eigenen Stärken sind.

Es gibt wirklich viele Spielarten, wie ein Puppenspieler heute arbeitet. Was aber auffällt, sind die  permanent wechselnden Konstellationen von Künstlergruppen. Das ist eine unglaublich wache und agile Szene.

geordnetes Chaos im Fundus

geordnetes Chaos im Fundus

Masken gibt's auch

Masken gibt’s auch

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